Klassisch gebildet, wie er nun
einmal ist, weiß Lukurello
natürlich, dass die Welt nicht an
den Grenzen des Abendlandes
endet. Vor allem das ferne und
fremde Asien öffnet kulturelle
und kulinarische Horizonte, die
ihresgleichen suchen. Die diversen
Küchen Asiens haben sich
auch hierzulande etabliert – in
verschiedenen Abstufungen, was
Quantität und Qualität anbelangt.
Allgegenwärtig ist die chinesische
Küche, die es im Reich der Mitte
so aber gar nicht gibt, weil China
unzählige Regionalküchen kennt;
dementsprechend bieten die vielen
chinesischen Restaurants bei
uns eine sehr eintönige, langweilige,
völlig unoriginelle Einheitsellküche von oft zweifelhafter Qualität.
Lukurello verschmäht sie in
aller Regel, weil er weiß, wie es in
Singapur, Hongkong oder Peking
schmeckt. Dennoch ist er stets –
von Sehnsucht nach exotischen
Genüssen getrieben – auf der Suche,
und nun ist er wieder einmal
fündig geworden.
Es spricht sich erst ganz allmählich
herum, dass auch Vietnam
über eine eigene, originelle
und äußerst wohlschmeckende
Küche verfügt. Lange Zeit litt der
Ruf dieses Landes unter den lang
nachwirkenden Schreckensbildern
des grausamen Krieges, die
Facetten der vietnamesischen
Kultur blieben völlig verborgen.
Und die zahlreichen Einwanderer
aus Vietnam – oft
sogenannte boat people
– siedelten sich
zwar rasch auch in
der Gastronomie
an, versteckten sich
aber meist hinter der
vermeintlich populäreren
chinesischen
Küche. Das führte
zu dem Paradox,
dass viele „chinesische“
Restaurants
und Schnellimbisse
von Vietnamesen
betrieben werden, die
ihre eigenen Spezialitäten
aber unter Verschluss halten.
Ganz langsam hat sich
das nun geändert, und erfreulicherweise
kann man
sich seit einigen Monaten
in der Würzburger
Bahnhofstraße ein Bild
davon machen, wie es in
Vietnam schmeckt. Das etwas
abseits liegende „Saigon“
nennt sich Bistro, und genauso
führt es Familie Tran auch: als
ein kleines Restaurant mit kleinen
Preisen. Liebevoll dekoriert,
liebenswürdiger Service, eine an
der originalen vietnamesischen
Küche orientierte Speisekarte.
Die Gerichte sind in Auswahl
und Zubereitung sicher etwas auf europäischen Geschmack
hin abgemildert, lokale Spezialitäten
und Würzgewohnheiten
würden manchen hierzulande
wahrscheinlich überfordern. Das
sagt Lukurello, der die Küchen
Südostasiens en detail kennt und
schätzt.
Die Küche Vietnams ist beeinflusst
von den Kochkünsten der
südchinesischen Provinzen und
der raffinierten Lukullik Thailands.
Wie alle Küchen Indochinas
ist sie eine „Suppen-Küche“.
Erfreulicherweise glänzt das „Saigon“
denn auch mit dem vietnamesischen
Nationalgericht, der
Pho Bo Hanoi. Eine große Schale
Suppe mit Reisbandnudeln und
Rindfleischstreifen. Sie wird traditionellerweise
24 Stunden gekocht,
mit Nelken, Zimt und Sternanis
fein gewürzt und individuell mit Nuocmam abgeschmeckt,
der in Vietnam allgegenwärtigen
fermentierten Fischsauce. Lukurello
schätzt diese Suppen an
warmen wie an kalten Tagen gleichermaßen
und gibt gerne etwas
mehr rote Chilischoten dazu,
als es Herr Tran von sich aus tut.
Man wird pappsatt davon und
muss an einem anderen Tag wiederkommen,
um vielleicht einen
weiteren Klassiker zu probieren,
Goi Ga, gebratenes Hühnerfleisch
mit Chili, Koriander, geröstetem
Reis und roten Zwiebeln.
Oder Vit Gion Curry, erstklassige
knusprige Ente in Kokosnussmilch,
mit Gemüse und rotem
Curry. Dazu ein originales Bier
aus Saigon – da sitzt Lukurello
mit seiner Begleitung dann an
einem herbstlichen Tag in Würzburg
und fühlt sich ganz weit weg
wie im tropischen Indochina.